Die alpenländische Landwirtschaft hat in St. Veit nicht nur seit Jahrhunderten Tradition sondern stellt auch einen Gutteil der Identität der Reimmichlgemeinde dar. Wobei sich speziell vom Anfang des vorigen Jahrhunderts bis jetzt in Bewirtschaftung und Arbeitsweise immens viel geändert hat. Das wird schon aus der Feststellung sichtbar, dass bis herauf zur Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Hofe zum größten Teil im Vollerwerb geführt wurden, wogegen es anno 2007 in St.Veit nur mehr sehr wenige Vollerwerbsbauern gibt.
Auch in der Arbeitstechnik hat sich immens viel getan. Die meisten Höfe liegen geographisch an den sonnseitigen Hängen der Gemeinde; die steilen Felder erfordern seit jeher einen intensiveren Arbeitsaufwand.
Aber blicken wir ein wenig zurück, etwa bis in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg:
Die Zwischenkriegszeit war wirtschaftlich sehr hart und entbehrungsreich. Die Versorgungslage im ganzen Land war erschreckend, Arbeitsplätze gab es viel zu wenig. Die Land- und Forstwirtschaft stellte in den Gemeinden so etwas wie einen Ernährungsanker dar. Wer eine Landwirtschaft hatte – mag sie auch noch so klein gewesen sein – der hatte zumindest zu essen; wobei der Speisezettel eher selten Fleisch beinhaltete, sondern vielmehr Kartoffel- und Getreidemahlzeiten. Trotz des rauen Klimas wurden fast überall in der Gemeinde Getreide und Kartoffeln angebaut, was natürlich den größten Teil der Heimfelder beanspruchte. Daher wurde viel Heu in den Bergmähdern gemacht, welches nach der Ernte oben in sogenannten Heuschupfen zwischengelagert wurde und im Winter zu den Höfen heruntergebracht wurde.
Es war damals die Zeit der Familienbetriebe, im wahrsten Sinne des Wortes: im Bauernhaus saßen immer drei Generationen gemeinsam beim Tisch. Zudem blieben oftmals auch die Geschwister des Bauern am Hof und halfen unentgeltlich mit, bis sie ausheirateten oder irgendwo eine Anstellung fanden.
Die dreißiger Jahre waren auch für die St. Veiter Bauern marktwirtschaftlich eine Katastrophe. Das Vieh musste zu Fuß zum Markt nach Huben gebracht werden, wobei es nicht selten vorkam, dass mancher Bauer mit dem Vieh – aufgrund fehlenden Angebotes – zu Fuß wieder den Heimweg antrat. Von einem solchen Bauern wird erzählt, dass er, wieder mit dem Ochsen zu Hause angekommen, diesen mit den Worten beschimpft habe: „du Saulüda, bische denn gor nicht werscht“. Technisch allerdings gab es schon einige Fortschritte. Die ersten Kleinwasserkraftwerke wurden in St.Veit Anfang der dreißiger Jahre gebaut, wobei ein gewisser Elektrofachmann Hechenblaikner aus Matrei hier Pionierarbeit leistete. In weiterer Folge wurden Lichtgenossenschaften gegründet und der elektrische Strom stellte eine wesentliche Erleichterung der Haus- und Hofwirtschaft dar. In den Jahren des zweiten Weltkrieges mussten fast alle jungen Männer zum Frontdienst einrücken; daher oblag es den älteren Bürgern und speziell den Frauen die Hofarbeit zu verrichten.
Nach dem Krieg waren es bis herauf zur Mitte der fünfziger Jahr immer noch sehr harte und karge Jahre für die ländliche Bevölkerung. Es war aber auch die Zeit, wo die Landwirtschaft einen besonders hohen Stellenwert hatte, wurde doch am Hof fast alles angebaut und produziert, was zur Ernährung gebraucht wurde. Den jungen Mädchen wurde nahegelegt, sich möglichst einen Bauern als Gemahl zu nehmen, denn dann wären sie gut versorgt. Bauern galten als sogenannte „bessere Partie“. Auch familiär war es so etwas wie die gute alte Zeit; vom Frühjahr bis Spätherbst wurde die Außenarbeit gemeinsam verrichtet, im Winter das Heu von den Almen heruntergebracht; es gab fast so gut wie keine Mechanisierung, mit Ausnahme der Feldaufzüge und der Fuhrwerke im Tal. Aufgrund von fehlendem Fernsehen und anderer Medien saß man am Abend viel beisammen und vertrieb sich die Zeit bei Kartenspielen und kurzweiliger Unterhaltung.
Ab Mitte der fünfziger Jahre wurde die Zeit zunehmend besser. Es gab durch den wirtschaftlichen Aufbau und die Verkehrserschließung des Landes zunehmend Arbeitsplätze, besonders auch für die weichenden Erben auf den bäuerlichen Betrieben. Ab Beginn der sechziger Jahre wurden die Fraktionen und Höfe zunehmend durch Güterwege erschlossen. Der Getreideanbau hörte in unserer Gemeinde vollständig auf. Auch auf dem Viehsektor fand ein Umbruch statt. Ab Beginn der siebziger Jahre wurde das Pinzgauer Rind, welches sich immer als besonders wiederstandsfähig ausgezeichnet hatte, durch das Fleckvieh abgelöst. In diesem sah man als idealen Kombinationstyp Milch/Fleisch wirtschaftlich eine bessere Zukunft, besonders in Hinblick auf die Milchleistungen.
Auch in der Arbeitstechnik gab es Verbesserungen. Die Bauern im Tal rüsteten sich immer mehr mit Traktoren auf, für die Bergbauern bot sich die Möglichkeit der Anschaffung von Hangschlepper, welche im Laufe der Jahre technisch weiter verbessert wurden und daher schon den Einsatz in sehr steilem Gelände ermöglichen.
Ebenfalls gab es immer besser die Möglichkeiten der schulischen Weiterbildung und der vielfältigen Berufsausbildung. Der Bauer, dessen Geschwister, aufgrund fehlender Berufsmöglichkeiten, zu Hause am Hof geblieben waren, konnte jetzt seine Kinder in höhere und berufsausbildende Schulen schicken. Auch finanziell wurde dies speziell ab den siebziger Jahren durch Reformierung des Schulsozialsystems ermöglicht.
Zudem wurde vielfach durch Gästebeherbergung ein neuer Betriebszweig erschlossen, und „Urlaub am Bauernhof“ wurde auch in St.Veit zum Schlagwort.
Der Umbruch und die Modernisierung in Haus und Hof bedeuteten zwar vielfach eine gehobene Lebensqualität, forderten aber auch besonders finanziell einen Kraftakt, weshalb sich die Bauern oftmals veranlasst sahen, einem Nebenerwerb nachzugehen; in der eigenen Gemeinde fand sich ein solcher anfangs im Güterwegebau, der Holzarbeit oder in Saisonstellen im Tourismus.
Ein weiterer Umbruch für die Landwirtschaft war der Beitritt Österreichs zur europäischen Union, am 1. Jänner 1995.
Im Vorfeld gab es sehr gegensätzliche auch mitunter leidenschaftlich geführte Diskussionen darüber, in wie weit der Bergbauer in der großen EU noch eine Überlebenschance hat. Einerseits wurden Ängste geschürt, andererseits Hoffnungen geweckt. Bei der EU-Volksabstimmung am 12. Juni 1994 zeigt sich jedenfalls auch der Großteil der bäuerlichen Bevölkerung für den Beitritt.
Die Markterlöse aus Vieh und Fleisch gingen, wie zu erwarten, erheblich zurück, wurden aber zu einem Gutteil durch ein verbessertes Förderungssystem wieder ausgeglichen. Als Alternative zur Agrarüberproduktion in den offenen EU-Märkten, versuchte man speziell der Biowelle Rechnung zu tragen und die Einzigartigkeit der Regionsprodukte herauszustellen, unter dem Motto „Feinkostladen Tirol“. Der Erfolg war nicht so durchschlagend, da viele Konsumenten das Hauptaugenmerk nach wie vor auf die Preisgestaltung legten.
Die Agrarindustrieproduktion in den großen Mitgliedstaaten birgt natürlich die Gefahr der nicht artgerechten Viehhaltung und in weiterer Folge auftretender Krankheiten und Verseuchungen, was leider in den letzten Jahren auch der Fall war. Daher fand in den Köpfen der Konsumenten vielfach wieder ein Umdenken statt, und man kauft seither regionsbewusster, was sich natürlich auch wirtschaftlich positiv für unsere Bauern auswirkt.
Zudem gehören gemähte Felder und Hänge zu einem gepflegten Landschaftsbild, was wiederum Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Tourismus ist. Solange das immer noch besonders bei den zuständigen Behörden und Ministerien erkannt wird, braucht einem um die Landwirtschaft in der alpenländischen Region nicht allzu bange zu sein.
(Ortsbauernobmann Andreas Stemberger, November 2007)