Geschichte

St. Veit in Defereggen - ein geschichtlicher Überblick

Die Anfänge
Seit den Ausgrabungen in der Kirche von St. Veit in Defereggen (Herbst 2000) wissen wir, dass das Defereggental bereits im Altertum besiedelt war: Römische Keramik und eine Beinnadel, die sogar noch aus vorgeschichtlicher Zeit stammen könnte, belegen dies eindeutig. Dazu kommt der Zufallsfund eines römerzeitlichen (?) Spinnwirtels aus Feld (Gemeinde St. Veit), der sich zusammen mit den oben genannten Objekten heute im Museum Zeitreise Defereggental (St. Jakob) befindet.
Im frühen Mittelalter wanderten in Osttirol und damit auch im Defereggental Slawen ein. Auch wenn sich diese archäologisch (durch Grabungsfunde) bislang nicht nachweisen ließen, so deuten doch zahlreiche Flurnamen wie Mellitz, Ratschitsch oder Gsaritzen auf ihre lange Präsenz im Tal hin. Mit der von Bayern ausgehenden Christianisierung des Alpenraumes kamen immer mehr bajuwarische Siedler ins Land.

600 Jahre Salzburg
Die ersten schriftlichen Nachrichten über das Defereggental betreffen Erwähnungen von Bauernhöfen, die dem Kloster Neustift in Südtirol gehörten (12. Jahrhundert). St. Veit selbst wird im Jahre 1313 zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Damals gehörte der Großteil der heutigen Gemeinde sowohl in kirchlicher als auch in politischer Hinsicht zum Erstbistum Salzburg. Diese Zugehörigkeit zu Salzburg begann Anfang des 13. Jahrhunderts und endete erst im Jahre 1803. Kirchlich gesehen war St. Veit damals eine so genannte Kuratie, also eine Seelsorgestation mit einem eigenen Priester, der jedoch in rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten vom Pfarrer von Windisch-Matrei (heute: Matrei in Osttirol) abhängig war.
Aus den Urbaren (Verzeichnissen der Güter und ihrer Abgaben) können wir entnehmen, dass die Leute großteils von der Viehzucht, aber auch vom Getreideanbau (hauptsächlich Roggen, Gerste, Hafer) lebten.

Von Bauern, Knappen und Protestanten
Anfang des 15. Jahrhunderts wurde in St. Veit die Pfarrkirche zum hl. Vitus errichtet, die somit das älteste erhaltene Gebäude in der Gemeinde darstellt. Nur um wenige Jahrzehnte jünger dürften so manche Holzhäuser sein, wie uns etwa die Jahreszahl „1502“ am Futterhaus des Hofes Klamperer in der Fraktion Gassen zeigt. Neben der in den letzten 50 Jahren nur wenig veränderten Fraktion Gassen gibt es in fast allen Teilgemeinden des Dorfes die traditionellen aus Holz errichteten Bauernhäuser.
Mit dem späten Mittelalter begann in St. Veit (wie auch an vielen anderen Orten Osttirols) das Bergbaufieber. Aus schriftlichen Quellen wissen wir von zahlreichen Belehnungen (= Konzessionen) und von der Anlage zahlreicher Stollen. Davon scheint sich mit Ausnahme von zwei Probestollen in der Nähe der Rotte Osing nichts erhalten zu haben.
Im 17. Jahrhundert war St. Veit das Zentrum der lutherischen Bewegung im Defereggental: Die Lehren Luthers waren teilweise durch die Geistlichkeit (!), teilweise durch den Hausierhandel ins Tal gebracht worden und hatten sich durch mehrere Jahrzehnte „im Untergrund“ verbreitet. Aufgrund der rigiden Haltung des Salzburger Erzbischofs mussten im Jahre 1684 mehrere hundert Menschen das Tal verlassen. Erst mit dem langjährigen Wirken des Kuraten Sebastian Auer – er war 40 Jahre lang Seelsorger in St. Veit! – erlosch der Protestantismus im Tal Anfang des 18. Jahrhunderts.

Von Kriegen und Katastrophen
Immer wieder wurde St. Veit von Katastrophen heimgesucht: Um das Jahr 1420 gab es eine Heuschreckenplage, die die Einführung des so genannten „Gangbrotes“ zur Folge hatte. Dabei handelt es sich um ein Sühneopfer an die Wallfahrts- und Stiftskirche von Innichen. Im Jahre 1695 wurden bei einem Lawinenabgang 17 Personen getötet. Bis heute erinnert daran ein Marterl in der Mellitzgalerie. Ein weiteres verheerendes Lawinenunglück tötete 1843 fünf Menschen und zerstörte zugleich ein Wohnhaus.
Auch von den Napoleonischen Kriegen blieb das Defereggental nicht ganz verschont. Französische Truppen kamen jedoch im Jahre 1809 – dem Jahr der allgemeinen Erhebung Tirols gegen die französische Herrschaft – nur bis Hopfgarten, während der Widerstandskämpfer Josef Taxer (hingerichtet am 30. Dezember 1809) in St. Veit wohnhaft war.
Die Gewalt des Wassers stellte seit je her die größte Bedrohung für den Menschen dar: Im Jahre 1834 verwüstete das Ortbachl, das über seine Ufer getreten war, einige Felder unterhalb von St. Veit. Die Auswirkungen waren noch in Zotten (an der Talstraße) zu spüren, ein Haus musste abgetragen und neu gebaut werden. Zwei das ganze Tal betreffende Unwetter gab es in den Jahren 1879 und 1882. In beiden Fällen wurden Felder, Wege und einige Häuser beschädigt, Menschen kamen jedoch nicht zu Schaden. Noch schlimmer war die Situation beim nächsten „Jahrhunderthochwasser“, der Hochwasserkatastrophe des Jahres 1965, als in der Fraktion Gassen sechs Menschen ums Leben kamen.
Zwei große Brandkatastrophen hat St. Veit im 19. Jahrhundert erlebt. In beiden Fällen wurde eine ganze Rotte zerstört: Im Jahre 1867 brannte der Weiler Moos (insgesamt 8 Wohn- und 7 Futterhäuser und die Kapelle) zur Gänze ab, 1883 wurde Außeregg (9 Wohn- und 8 Futterhäuser) ein Raub der Flammen. Im 20. Jahrhundert gab es Brände in diesem Ausmaß nicht zuletzt dank der verbesserten Infrastruktur nicht mehr. Dazu trägt vor allem die im Jahre 1909 gegründete Freiwillige Feuerwehr St. Veit bei.

St. Veit im Wandel – das Zwanzigste Jahrhundert
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es den ersten großen gesellschaftlichen Wandel im Defereggental gegeben, von dem auch St. Veit betroffen war: Die bisherigen Hausierhändler gründeten in der gesamten österreichisch-ungarischen Monarchie Fabriken (hauptsächlich Strohhut-, aber auch Uhrenfabrikation). Dies führte zu einer verstärkten Abwanderung der einheimischen Bevölkerung, die aber die Kontakte zur alten Heimat zumeist nicht abreißen ließ. Gleichzeitig wurden Elemente der urbanen Kultur (etwa in der Kleidung oder Ernährung) ins Tal gebracht.
Weitere Neuerungen kamen mit dem Ausbau der Straße Ende des 19. Jahrhunderts, wodurch der Tourismus einen ersten Aufschwung erlebte. Im Lauf des 20. Jahrhunderts wird der Tourismus zu einem der wichtigsten Erwerbszweige im Tal.
1870 wurde in Zotten das Postamt St. Veit gegründet. Es übersiedelte 1987 nach St. Veit i. Def. und wurde im Jahre 2002 geschlossen. Die Straße nach St. Veit-Dorf wurde in den 1930er Jahren zu bauen begonnen, doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg vollendet. In den 1960er, 1970er und 1980er Jahren führten zahlreiche Baumaßnahmen zu Verbesserungen der bestehenden Straßen. So etwa wurde die Straße nach Mellitz, Bergl und Moos durch drei Lawinengalerien (Durbach, Mellitz- und Mooserbachgraben) wintersicher gemacht.
St. Veit wird im 20. Jahrhundert durch seinen berühmtesten Sohn, den Priester und Schriftsteller Sebastian Rieger (Pseudonym: Reimmichl), weit über seine Grenzen hinaus bekannt.

Literaturhinweis: Matthias Hofmann, Chronik St. Veit in Defereggen. Von den Anfängen bis 1889 (hgg. v. M. Hafele – M. Huber), St. Veit 1997.